Wer, wie der Kinofilm-Beschauer, recht häufig, eigentlich sogar sehr häufig, ins Kino geht, dem werden immer wieder Filme unterkommen, die einen subtil in ihren Bann ziehen. Und dieses Erlebnis, von einem Film regelrecht aufgesogen zu werden, ist völlig unabhängig vom Genre; Blockbuster sind dazu geeignet, Animationsfilme und Dokumentationen, Musikfilme und natürlich die Arthouse-Sparte… die vielleicht sogar besonders.
Bei „Wo in Paris die Sonne aufgeht“, dem neuesten Streifen von Jacques Audiard (u. a. auch „Der Geschmack von Rost und Knochen“), war es wieder einmal soweit. Endgültig animiert und mit der nötigen Portion Neugierde versehen durch einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 3. April, der unter der Überschrift „Klassische Würde, rohes Leben“, dem Film Bestnoten ausstellte, tauchte der Kinofilm-Beschauer unversehens ein, in eine Welt (noch) junger Menschen, die sich ihrer Unentschlossenheit auf die Wahl des richtigen Lebensentwurfs (sollte es den überhaupt geben) bewusst sind und deshalb all ihren Gefühlen im Hier und Heute freien Lauf lassen.
Handlungsgrundlage für den Film bilden drei Kurzgeschichten des amerikanischen Comic-Zeichners Adrian Tomine. Regisseur Audiard siedelt den Film im auch und besonders von Migranten geprägten 13. Pariser Arrondissement an. Genau dort, im von unverkennbaren sozialen Spannungen geprägten Paris, lässt er seine Protagonisten auf die Suche gehen nach Glück, nach Nähe aber vor allem auch nach sich selbst.
Der Film lebt ganz besonders von vier Elementen. Da sind als erstes zu nennen die drei Hauptdarsteller: Noémie Merlant („Porträt einer jungen Frau in Flammen“) sowie Lucie Zhang und Makita Samba. Die beiden Letztgenannten sind absolute Newcomer. Alle drei geben dem Film diese unverwechselbare Leichtigkeit, die durch das zweite prägende Stilelement noch unterstützt wird. Es handelt sich um die Dialoge, die weder gekünstelt noch gestellt wirken; so sprechen Menschen in dem Alter der Protagonisten des Films; so sprechen sie in Frankreich, in Argentinien, Sambia, Deutschland, Russland, auf den Antillen… Das dritte und für den Kinofilm-Beschauer prägendste Stilelement besteht darin, dass der Film in Schwarzweiß gedreht wurde. Als irgendwann im zwanzigsten Jahrhundert die Schwarzweißfilme von Farbfilmen abgelöst wurden, glich das einem cineastischen Wunder. Heute gleicht es einem Wunder und öffnet den Phantasiehorizont für den Betrachter, wenn Filme in schlichtem Schwarzweiß auf die Leinwand kommen. (Was natürlich keineswegs heißen soll, dass der Kinofilm-Beschauer sich nun fürderhin alle Filme so wünscht.) Beredte Beispiele der jüngsten Filmgeschichte sind „Lieber Thomas“ oder „Belfast“, die ihre volle cineastische Wirkung nur vermitteln können, weil sie eben nicht coloriert sind. Und selbst das Stilmittel des temporären Rückfalls auf Schwarzweiß (siehe Quentin Tarantinos „Death Proof“) ist ja zwischenzeitlich etabliert. Und schließlich viertens sind es die Schnitte, die in einer fast chirurgisch exakten Dimension gesetzt sind; die mannigfaltigen Szenen mit erotischem Einschlag z. B. sind weder zu kurz noch zu lang…
Das Lieblingsfilm-Potential ist für den Kinofilm-Beschauer dann besonders hoch, wenn es ihm nichts ausmacht, den Film auch immer mal wieder zu schauen (wie z. B. „Toni Erdmann“ oder „Once Upon a Time… in Hollywood“); nun gut, dieses Level erreicht „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ vielleicht nicht. Aber dass ich ihn ein zweites Mal schauen werde, ist so gut wie ausgemacht; auf einer Skala von 1 bis 10 erreicht er garantiert eine 7…
Alternativ-Empfehlung der Woche (von Jens): Von Dienstag zu Mittwoch war’s, das Chemnitzer Cinestar lud zum Trippel-Feature mit Premiere-Feeling ein – Phantastische Tierwesen: Dumbledores Geheimnisse. Ja, es ist wieder Zeit für weitere Abenteuer in der Wizarding World. Begleitet Newt Scamander und seien magischen Geschöpfe beim besonderen Kampf Dumbledore gegen Grindelwald. Die Publikumslieblinge Niffler und Pickett dürfen nicht fehlen und übernehmen wochwichtige Aufgaben. Doch was/wer ist Grindelwald? Nachdem Johnny Depp die Rolle des Gellert Grindelwald abgeben musste, begeistert Mads Mikkelsen (in gewohnt) intensiver Art und Weise und wertet das Kinoerlebnis auf. Und da wären noch ein paar Romanzen zu klären, aber schaut selbst.
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