Filmstart der Woche – powered by Programmbeirat: Meine schrecklich verwöhnte Familie

Geld ist nicht alles. Auf diese Binsenweisheit lässt sich die französische Filmkomödie „Meine schrecklich verwöhnte Familie“ (Regie Nicolas Cuche) am Ende zurückführen. Ohne die Handlung zu sehr zu spoilern, sei Folgendes verraten: Ein reicher, schon etwas in die Jahre gekommener und lange alleinerziehender Vater stellt fest, dass seine drei Sprösslinge (alle schon erwachsen) zu allem zu taugen scheinen, außer zu etwas Nützlichem. Das Wort Arbeit kennen sie nur vom Hörensagen und zu ihrer Faulheit und Verschwendungssucht gesellt sich noch ein Maß an Arroganz, das am Ende das Fass zum Überlaufen bringt. Damit muss ein für alle Mal Schluss sein! Ohne die drei auch nur im Geringsten einzuweihen, verfällt der Vater auf eine List, die das Leben aller Beteiligten gehörig umkrempeln wird. Der Film ist übrigens das Remake einer erfolgreichen mexikanischen Komödie aus dem Jahr 2015. Der Streifen, der erfreulicherweise die früher übliche Filmlänge von reichlich anderthalb Stunden nicht wesentlich übersteigt, ist eine durchaus von turbulenter Handlung geprägte Komödie, die flott erzählt wird, witzige Dialoge bereithält und damit gutes Sommerkino darstellt, bei dem man sich weder beim Zuschauen quälen noch tiefgründig nachsinnen muss. Das alles muss ja auch erlaubt sein. Ist man erst einmal in der Handlung drin, passiert im Wesentlichen das Erwartbare, das aber charmant filmisch umgesetzt wird.

Einen im Wortsinn bezaubernden Nebeneffekt stellt dar, dass der Film in Monaco und Marseille gedreht wurde, was auch von der Optik her so richtiges Sommerfeeling verbreitet. Ganz kurz beschlich den Kinofilmbeschauer bei den Bildern von der Cote d’Azur der Gedanke, angesichts dieser wundervollen Landschaft vielleicht auch lieber nicht arbeiten zu wollen. Dann hat er sich aber ganz schnell des Gedankens geschämt… und diese Kritik geschrieben.

Lieblingsfilm-Potential: Die Frage nach dem Lieblingsfilm-Potential lässt sich recht einfach beantworten. Es handelt sich um einen handwerklich gut gemachten Film ohne allzugroßen Tiefgang, der aber durchaus sehenswert ist und geeignet scheint, den ansonsten vielleicht trüben Alltag etwas aufzuhellen. Auf einer Skala von 1 bis 10 käme er ganz sich auf einen Wert von 6 bis 7. Der Kinofilmbeschauer jedenfalls hatte einen angenehmen Kinoabend mit einem kurzweiligen Film, der geeignet ist, schon jetzt ein wenig Sommerfeeling zu verbreiten. Ganz, ganz großes Kino ist der Film aber sicher nicht.


Alternativ-Empfehlung der Woche von Jens:
 Wieder ein Film mit Stephen-King-Material im Kino. Firestarter. Da ich es wohl nie schaffen werde, alle Romane von Stephen King zu lesen, habe ich mich auf die Sichtweise von Blumhouse & Team gefreut. – Interessant für mich war der Einfluss der bisherigen X-Men-Filme auf die eigene Wahrnehmung während des Schauens. Wem es gelingt, diese Erinnerungen für die anderthalb Stunden aus dem Gedächtnis zu verbannen, der bekommt ein manchmal an Horror angelehntes Familiendrama in geradliniger Erzählung. – Es ist okay, dass der Film eine FSK16-Einstufung erhalten hat, aber für mich wäre auch FSK12 vorstellbar gewesen, mit der oft gelesenen Begründung „Zuschauer ab 12 können klar Fiktion und Wirklichkeit trennen, weil …“ (aber möglicherweise wurde das Ende besonders berücksichtigt). Wer Firestarter gern sehen möchte, um einmal mehr Überblick über das Schaffen von Stephen King zu erhalten, dem sei der Film nicht ausgeredet. Aber falls der Roman Feuerkind zu den eigenen Top 5 gehört, dann sollte man lieber auf die nächste Interpretation warten.

Filmstart der Woche – powered by Programmbeirat: Wo in Paris die Sonne aufgeht

Wer, wie der Kinofilm-Beschauer, recht häufig, eigentlich sogar sehr häufig, ins Kino geht, dem werden immer wieder Filme unterkommen, die einen subtil in ihren Bann ziehen. Und dieses Erlebnis, von einem Film regelrecht aufgesogen zu werden, ist völlig unabhängig vom Genre; Blockbuster sind dazu geeignet, Animationsfilme und Dokumentationen, Musikfilme und natürlich die Arthouse-Sparte… die vielleicht sogar besonders.

Bei „Wo in Paris die Sonne aufgeht“, dem neuesten Streifen von Jacques Audiard (u. a. auch „Der Geschmack von Rost und Knochen“), war es wieder einmal soweit. Endgültig animiert und mit der nötigen Portion Neugierde versehen durch einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 3. April, der unter der Überschrift „Klassische Würde, rohes Leben“, dem Film Bestnoten ausstellte, tauchte der Kinofilm-Beschauer unversehens ein, in eine Welt (noch) junger Menschen, die sich ihrer Unentschlossenheit auf die Wahl des richtigen Lebensentwurfs (sollte es den überhaupt geben) bewusst sind und deshalb all ihren Gefühlen im Hier und Heute freien Lauf lassen.

Handlungsgrundlage für den Film bilden drei Kurzgeschichten des amerikanischen Comic-Zeichners Adrian Tomine. Regisseur Audiard siedelt den Film im auch und besonders von Migranten geprägten 13. Pariser Arrondissement an. Genau dort, im von unverkennbaren sozialen Spannungen geprägten Paris, lässt er seine Protagonisten auf die Suche gehen nach Glück, nach Nähe aber vor allem auch nach sich selbst.

Der Film lebt ganz besonders von vier Elementen. Da sind als erstes zu nennen die drei Hauptdarsteller: Noémie Merlant („Porträt einer jungen Frau in Flammen“) sowie Lucie Zhang und Makita Samba. Die beiden Letztgenannten sind absolute Newcomer. Alle drei geben dem Film diese unverwechselbare Leichtigkeit, die durch das zweite prägende Stilelement noch unterstützt wird. Es handelt sich um die Dialoge, die weder gekünstelt noch gestellt wirken; so sprechen Menschen in dem Alter der Protagonisten des Films; so sprechen sie in Frankreich, in Argentinien, Sambia, Deutschland, Russland, auf den Antillen… Das dritte und für den Kinofilm-Beschauer prägendste Stilelement besteht darin, dass der Film in Schwarzweiß gedreht wurde. Als irgendwann im zwanzigsten Jahrhundert die Schwarzweißfilme von Farbfilmen abgelöst wurden, glich das einem cineastischen Wunder. Heute gleicht es einem Wunder und öffnet den Phantasiehorizont für den Betrachter, wenn Filme in schlichtem Schwarzweiß auf die Leinwand kommen. (Was natürlich keineswegs heißen soll, dass der Kinofilm-Beschauer sich nun fürderhin alle Filme so wünscht.) Beredte Beispiele der jüngsten Filmgeschichte sind „Lieber Thomas“ oder „Belfast“, die ihre volle cineastische Wirkung nur vermitteln können, weil sie eben nicht coloriert sind. Und selbst das Stilmittel des temporären Rückfalls auf Schwarzweiß (siehe Quentin Tarantinos „Death Proof“) ist ja zwischenzeitlich etabliert. Und schließlich viertens sind es die Schnitte, die in einer fast chirurgisch exakten Dimension gesetzt sind; die mannigfaltigen Szenen mit erotischem Einschlag z. B. sind weder zu kurz noch zu lang…

Das Lieblingsfilm-Potential  ist für den Kinofilm-Beschauer dann besonders hoch, wenn es ihm nichts ausmacht, den Film auch immer mal wieder zu schauen (wie z. B. „Toni Erdmann“ oder „Once Upon a Time… in Hollywood“); nun gut, dieses Level erreicht „Wo in Paris die Sonne aufgeht“ vielleicht nicht. Aber dass ich ihn ein zweites Mal schauen werde, ist so gut wie ausgemacht; auf einer Skala von 1 bis 10 erreicht er garantiert eine 7…

Alternativ-Empfehlung der Woche (von Jens): Von Dienstag zu Mittwoch war’s, das Chemnitzer Cinestar lud zum Trippel-Feature mit Premiere-Feeling ein – Phantastische Tierwesen: Dumbledores Geheimnisse. Ja, es ist wieder Zeit für weitere Abenteuer in der Wizarding World. Begleitet Newt Scamander und seien magischen Geschöpfe beim besonderen Kampf Dumbledore gegen Grindelwald. Die Publikumslieblinge Niffler und Pickett dürfen nicht fehlen und übernehmen wochwichtige Aufgaben. Doch was/wer ist Grindelwald? Nachdem Johnny Depp die Rolle des Gellert Grindelwald abgeben musste, begeistert Mads Mikkelsen (in gewohnt) intensiver Art und Weise und wertet das Kinoerlebnis auf. Und da wären noch ein paar Romanzen zu klären, aber schaut selbst.

Filmstart der Woche – powered by Programmbeirat: Der Pfad

Spätestens seit Roberto Benigni im Jahr 1997 mit dem Streifen „Das Leben ist schön“ den schon fast revolutionären Versuch unternommen hat, dem nach wie vor Grauenhaften von Krieg, Vertreibung und Völkermord durch eine für damalige Verhältnisse gewagte, aber aus heutiger Sicht berechtigte Betrachtungsweise einen anderen, als den zerstörerisch-anklagenden Blick zu geben, scheint sich in der Cinematografie herumgesprochen zu haben, dass dies ohne Gesichtsverlust und vor allem ohne Grauen zu bagatellisieren möglich ist. Beredte Beispiele jüngeren Datums sind Filme wie „JoJo Rabbit“ oder „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“.

Nun hat der Film „Der Pfad“, eine cineastisch umgesetzte Geschichte auf dem Weg ins Exil, um Verfolgung und möglichem Tod in Deutschland zu entgehen, das Licht der Leinwand erblickt. Erzählt wird die Geschichte aus dem Blick des kleinen Jungen Rolf, der gemeinsam mit seinem Vater der bereits im Exil weilenden Mutter folgen will; schon bald aber geschieht das erwartbare Unglück und der Vater wird festgenommen. Nun ist Rolf allein auf sich gestellt, lediglich begleitet von einem ebenso kleinen Mädchen, das sich aber wenigstens in der Gegend auskennt. Mehr von der Handlung, die mit großer Ernsthaftigkeit aber eben doch aus dem Blickwinkel von Kindern den Weg weiter über die Grenzen schildert, soll nicht gespoilert werden.

Rolf wird gespielt von Julius Weckauf; spätestens bei dem Namen müssten sich bei vielen Cineasten bestimmte Synapsen verdrahten, denn Weckauf ist genau der, der mit „Der Junge muss an die frische Luft“ dem Drei-Käse-hoch Hape Kerkeling ein Kino-Kinderleben eingehaucht hat, welches wahrscheinlich Kerkeling selbst nicht einmal hatte.

Julius Weckauf und Nonna Cardoner auf der Flucht

Und der rezensierende Kinofilm-Beschauer kann alles, aber nicht verhehlen, dass auch in diesem Genre, das ja die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Augenzwinkern geradezu als Existenzberechtigung benötigt, Julius Weckauf alles rausholt, was sehenswerter Film zu bieten haben sollte (vielleicht, aber das ist nur ein klitzekleiner Einwand, ist er für die Rolle etwas zu füllig). Nun werden die Kritiker sicher wieder zu bemängeln haben, dass das Thema viel zu ernst sei, um seine Späße damit zu machen. Richtig, kann der Kinofilm-Beschauer dazu nur sagen, denn es macht auch niemand unangemessene Späße. Aber man darf ganz sicher belastbar davon ausgehen, dass bei aller Not, Pein, Trauer und auch Angst Kinder in damaliger Zeit eben einen anderen Blick hatten, so wie Kinder heute einen anderen Blick zum Beispiel auf eine Pandemie haben. Und nur das macht der Film deutlich. Und das tut er mit Fingerspitzengefühl, einem sympathischen Augenzwinkern und trotzdem nicht zu kurz kommender Ernsthaftigkeit. Das Urteil: gelungen und sehenswert.

Ach übrigens, ehe es in Vergessenheit gerät: Schön, dass es auch neben den Unmengen in „Denglisch“ bezeichneter Filme noch solche gibt, die genau so heißen, wie ihre Handlung verspricht – mit anderen Worten, der Name „Der Pfad“ ist ein zu dem Film passender wohltuender Nebeneffekt.

Lieblingsfilm-Potential: Da der Kinofilm-Beschauer nur recht wenige Filme kennt, die für ihn in diese Rubrik fallen, liegen die Hürden hier ziemlich hoch und um es offen zu sagen, überspringt diese Hürden „Der Pfad“ nicht. Aber auf einen Platz im guten Mittelfeld kommt er ohne Probleme…

Alternativ-Empfehlung der Woche: Was können die besten Bergsteiger in ihren besten Jahren leisten? Eine der Fragen aus der Outdoor-Doku „Der Alpinist“ – eine mögliche Antwort: Solo-Besteigungen! Was für ambitionierte Hobby-Berggänger wie ein Himmelfahrtskommando erscheinen mag, ist für diese Menschen das kalkulierte Risiko, um das intensive Berg-Gefühl zu erleben und um (nebenbei) die Grenzen der Machbarkeit zu verschieben. Obwohl es im Film um Marc-André Leclerc geht, haben wir auch ein Auge auf das langfristige Vorhaben von Jost Kobusch. Jost Kobusch ist ebenfalls ein Solo-Bergsteiger mit vielen Erfolgen. Eines seiner Langzeitprojekte ist die Solo-Besteigung des Mt. Everest, an welcher er aktuell im Himalaya (siehe FAZ) arbeitet. Aufgrund dieser beeindruckenden Vorhaben beinhalten solche Projekte wie „Der Alpinist“ interessante Einblicke in die Persönlichkeiten dieser Menschen. Wir freuen uns, diesen Film als Kandidaten für unsere TERRA-Sparte in der engeren Auswahl zu haben.

„Der Alpinist“ bietet nicht nur, aber natürlich auch: wundervolle Gipfel-Aufnahmen voller Eis und Schnee.

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